Von Volker Gerding (Weilburger Tageblatt)
Das Theaterstück „Weinhebers Koffer“ in der Stadthalle beeindruckt das Publikum. Der Verein „Weilburg erinnert“ hat als Veranstalter wieder einmal ein wichtiges Zeichen gesetzt.

Weilburg. Die jüngere jüdische Geschichte konfrontiert uns mit dem Verschwinden. Das Leben von Juden, ermordet oder vertrieben durch den Terror der Nazis, lässt sich oft nur in Fragmenten rekonstruieren. Das Theaterstück „Weinhebers Koffer“ in der Inszenierung von „rimon productions“ erzählt von dem fiktiven Versuch, ein Leben durch Dokumente, Zeitzeugen und Alltagsgegenstände nachzuzeichnen.
Basierend auf Michel Bergmanns Roman folgt es Elias Ehrenwerth, einem Journalisten und Filmemacher, gespielt von Marcel Eid. Elias sucht ein Geburtstagsgeschenk für seine Freundin und entdeckt in einem Geschäft einen alten Lederkoffer mit den Initialen L.W. – Lisa Winter, wie seine Freundin. Er findet eine Visitenkarte des ursprünglichen Besitzers, Leonard Weinheber. Er verfolgt die Spur des Koffers. Seine Recherche führt Elias nach Israel, zu dem dort lebenden Palästinenser Gibril – alle arabischen Rollen werden von Isai Liven verkörpert. Er arbeitete im Mai 1939 in Jaffa als Hafenarbeiter, als die „Adriatica“, ein italienisches Auswandererschiff, anlegte. Ein Koffer blieb übrig, den Gibril an sich nahm.
Veranstalter ist der Verein „Weilburg erinnert“
Es war Weinhebers Koffer. Aber hatte er das Schiff verlassen? Durch Briefe und Dokumente wird Weinhebers Leben für Elias lebendig. Der Koffer bildet die zentrale Requisite des kargen Bühnenbilds, gestaltet von „rimon productions“. Die Briefe von Weinhebers Geliebter, der Schauspielerin Lenka Rosen, werden aus dem Off vorgelesen. Es sind Liebesbriefe, die 1931 beginnen und zunehmend politischer werden. 1935 setzte sie große Hoffnung auf die Olympischen Spiele, bis sie, von Berufsverbot und Naziwillkür ermattet, die Emigration nach Palästina anstrebte. „Seitdem es Bänke nur für Arier gibt, ist meine Hoffnung geschwunden“, sagt die Stimme in den Theatersaal hinein.
Weinheber, ein Schriftsteller, litt unter dem Publikationsverbot für Juden. Lenka forderte ihn auf, mit ihr nach Palästina zu fliehen. Doch Weinheber zögerte, seine Geliebte fuhr ohne ihn. Das Stück thematisiert nicht nur die NS-Zeit. Amin, ein Palästinenser in Israel, studierte mit Elias in Deutschland. Er kennt das Gefühl der Ausgrenzung aus beiden Ländern. Elias trifft ihn auf seiner Reise wieder. Die Zeitgeschichte wird in hitzigen Gesprächen zwischen Elias und Amin lebendig. „Was wir gemeinsam haben mit den Juden von damals, ist die Verachtung“, sagt Amin. „Was tut ihr, um nicht verachtet zu werden? Wo sind die arabischen Intellektuellen, die Israels Existenzrecht anerkennen und Angriffe aus Gaza verurteilen?“, entgegnet Elias. Für die Antwort von Amin ist nur ein Lächeln vorgesehen. Isai Liven spielt seine arabischen Rollen tapfer und bekommt viel Raum zum Sprechen, doch die Unterhaltungen mit Elias verlaufen nicht immer auf Augenhöhe.
Auf einer dritten Ebene behandelt ein Romanfragment von Weinheber die Ausschreitungen gegen Juden 1923 im Berliner Scheunenviertel. An dieser Stelle thematisiert die Inszenierung bedrückend den Antisemitismus der Weimarer Republik. Der Koffer wird zum Schreibtisch. Weinheber, dargestellt von Hanno Dinger, sitzt an seiner Schreibmaschine, tippt und spricht seine Gedanken zum Publikum.
Seine poetische Kraft entfaltet das Stück, als Regisseurin Britta Shulamit Jakobi in der Rückblende Cary Mayer, von ihr selbst gespielt, auf dem Schiff nach Palästina auf Weinheber treffen lässt. Die damals 15-Jährige beschreibt die Heiterkeit auf dem Schiff in die Freiheit. Marcel Eid spielt Akkordeon, hebräische Gesänge erklingen. Weinheber, der 1939 seiner Freundin folgen wollte, gibt sich seiner Melancholie und den Gedanken an das Meer hin. Der Koffer wird zur Reling, die den Weg in ein neues Leben ohne Unterdrückung weist. „Morgen sind wir in unserem Land“, freut sich Cary und fragt Weinheber: „Was fühlen Sie?“ „Nichts“, antwortet dieser. „Ich bin immer noch in meinem Land, das ich verlassen habe. Mein Deutschland ist nicht das Land der Nazis. Es ist das Land Schillers, Börnes, Beethovens.“ Weinheber wird das Schiff nicht verlassen. Er hat kurz vor der Abreise erfahren, dass seine Freundin bei einem arabischen Angriff ermordet wurde. Cary rezitiert ein letztes, ihr gewidmetes Gedicht von Weinheber: „Dir weist das Meer den Weg ins Licht. Mich führt es heim.“
Beim anschließenden Publikumsgespräch wird das intensive Spiel des Ensembles hervorgehoben. Der Schlussapplaus gilt nicht nur den Schauspielern, sondern auch dem veranstaltenden Verein „Weilburg erinnert“.