
Weilburg – Mit einem Theater- und Netzwerkevent hat der Verein „Weilburg erinnert“ am Donnerstagabend in der Stadthalle Weilburg ein starkes Zeichen für eine lebendige Erinnerungskultur gesetzt. Anlass war das Gedenken an die Reichspogrome, verbunden mit einem Dank an Unterstützer, Förderer und Partner des Vereins. Im Mittelpunkt des Abends stand die Aufführung des preisgekrönten Theaterstücks „Ännes letzte Reise“ vom Theater mini-art, das die NS-„Euthanasie“-Verbrechen eindringlich beleuchtet.
Die Veranstaltung fand unter der Schirmherrschaft des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein statt, vertreten durch Dr. Christoph Ullrich, Regierungspräsident des Regierungspräsidiums Gießen. Auch Finanzstaatssekretär Uwe Becker, Beauftragter der Hessischen Landesregierung im Einsatz gegen Antisemitismus, zählte zu den Ehrengästen.
Kulinarisch verwöhnt wurden die Gäste vom Team des Schlosshotels. „Die Arbeit von „Weilburg erinnert“ ist ein Anker für den gesellschaftlichen Diskurs in der Region und daher unterstützen wir die Arbeit des Vereins sehr gerne“, meint Malte Malessa, Hoteldirektor von Schlosshotel und Hotel Lahnschleife. „Es ist uns eine große Freude mit der Hogano Hotelgruppe einen großartigen und langjährigen Partner an der Seite zu haben, der uns durch die Zurverfügungstellung von Veranstaltungsräumlichkeiten und die Zurverfügungstellung von Hotelzimmern in enormen Maße unterstützt“, bekräftigt Markus Huth und bedankt sich bei Malessa für das leckere Buffet.
Würdigung durch Ehrengäste
In ihren Reden würdigten die Ehrengäste die Arbeit von „Weilburg erinnert“ und betonten deren Bedeutung für die Region. „Weilburg erinnert leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Erinnerungskultur in Hessen. Der Verein zeigt eindrucksvoll, wie Geschichte nicht nur bewahrt, sondern aktiv in die Zukunft getragen werden kann,“ sagte Staatssekretär Becker. Er regte an, in Zukunft gemeinsam Projekte gegen Antisemitismus zu initiieren.
Dr. Christoph Ullrich unterstrich die Wichtigkeit des ehrenamtlichen Engagements: „Ihr Verein hat sich weit über die Grenzen der Region einen Namen erarbeitet. Ihr Engagement wird von der Hessischen Landesregierung sehr geschätzt und unterstützt, denn Sie sind ein Brückenbauer für die Werte von Demokratie und Menschlichkeit.“
Ein Jahr der Meilensteine
Markus Huth, Vorsitzender des Vereins, hob in seiner Begrüßung die großen Erfolge des Jahres hervor, darunter die Anerkennung als „Anerkannter Bildungsträger“ der Bundeszentrale für politische Bildung und die Förderung durch die Deutsche Postcode Lotterie in Höhe von 100.000 Euro. „Mit diesen Mitteln schaffen wir einen inklusiven Lern- und Erinnerungsort auf dem Klinikgelände in Weilmünster, der die NS-Geschichte für kommende Generationen erfahrbar macht,“ so Huth.
Anke Föh-Harshman, Vorstandsmitglied und Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, betonte: „Unsere Arbeit ist rein ehrenamtlich. Diese Anerkennungen und Förderungen sind ein Beweis für die hohe Qualität unserer Bildungsangebote – und sie motivieren uns, weiterzumachen. Dass sogar Bundeskanzler Olaf Scholz unseren Verein auszeichnete und unsere Arbeit als „wegweisend“ für andere Initiativen bezeichnet ehrt uns sehr.“
Emotionaler Höhepunkt: „Ännes letzte Reise“
Das Theaterstück „Ännes letzte Reise“ war der emotionale Höhepunkt des Abends. Mit einer intensiven Darstellung beleuchtete das Ensemble die Schicksale von Anna Lehnkering, einem Opfer der NS-„Euthanasie“-Verbrechen und machte die Geschichte eindringlich greifbar. Änne war ein lebensfrohes Mädchen, bis ein Unfall ihr Leben veränderte: Sie verlor ein Auge und musste fortan ein Glasauge tragen. Diese Veränderung ließ sie immer unsicherer werden. Sie wich Blicken aus, zog sich zurück und fand auch später in der Schule keinen Anschluss. Ihre Schwierigkeiten im Lernen führten dazu, dass sie bald als „geistig behindert“ abgestempelt wurde. So begann das tragische Schicksal von Anna Lehnkering – ein Weg, der sie in die Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau führte und schließlich in eine der Gaskammern der nationalsozialistischen T4-Tötungsanstalt Grafeneck.
Das Schicksal von Anna Lehnkering steht stellvertretend für unzählige andere Opfer der NS-„Euthanasie“-Morde. Im Dritten Reich wurden tausende Menschen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen im Namen der „Rassenhygiene“ systematisch ermordet – durch Vergasung, Vergiftungen oder grausame medizinische Experimente.
Das Stück begann mit einem Brief, den Änne kurz vor ihrer Deportation nach Grafeneck an ihre Mutter schrieb: „Liebe Mama, ich werde verreisen. Aber ich will nicht.“ Der Text, der einen erschreckenden Kontrast zwischen kindlicher Hoffnung und bevorstehendem Grauen zeigte, führte die Zuschauer unmittelbar in das Thema ein. In den folgenden Szenen rekonstruierten die Schauspieler Crischa Ohler und Sjef van der Linden Episoden aus Ännes Leben. Durch Rückblenden wurde ihre Kindheit, Jugend und die zunehmende Ausgrenzung spürbar gemacht. Mit minimalen Kostümwechseln schlüpften die Darsteller in verschiedene Rollen – von Ännes Mutter, die um das finanzielle Überleben kämpfte, bis hin zu Karl Brandt, einem der Hauptverantwortlichen der NS-„Euthanasie“-Programme, der die Ermordung von Menschen mit Behinderungen auch nach Kriegsende als „Gnadentod“ rechtfertigte.
Visuelle Elemente ergänzten die Inszenierung: Originalaufnahmen projiziert auf eine Leinwand zeigten Änne in unterschiedlichen Lebensphasen, ihre Peiniger und das kriegsgezeichnete Umfeld der damaligen Zeit. Das Stück schloss mit einem weiteren Brief – diesmal geschrieben von den Tätern. In scheinheiligem Ton schilderten sie ihren Tod als „natürliche“ Folge einer schweren Bauchfellentzündung.
Das Stück berührte die Zuschauer durch seine schonungslose und zugleich sensible Darstellung eines Lebens, das von einer unmenschlichen Ideologie ausgelöscht wurde.
Starke Partnerschaften und Engagement in der Region
Huth lobte die enge Zusammenarbeit mit Vitos Weil-Lahn, dem Klinikträger in Weilmünster, und der Gedenkstätte Hadamar: „Diese Partnerschaften ermöglichen es uns, eine würdige Erinnerungskultur in Weilmünster zu schaffen und ist ein gutes Zeichen für die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Klinikträger und ehrenamtlicher Zivilgesellschaft.“
Föh-Harshman hob die langjährige Kooperation mit mini-art hervor, deren Theaterprojekte mit der Weiltalschule Weilmünster einen wertvollen Beitrag zur Erinnerungsarbeit leisten.
Einladung zur Unterstützung
Neben der Theateraufführung präsentierte der Verein an Themeninseln seine aktuellen Projekte und lud die Gäste ein, die Arbeit von „Weilburg erinnert“ weiterhin zu unterstützen. „Mit einer regelmäßigen Spende oder Förderung können Sie dazu beitragen, dass wir unsere Bildungsarbeit fortsetzen können,“ so Föh-Harshman.
Ein starkes Signal für die Zukunft
Die Veranstaltung zeigte eindrucksvoll, wie Vergangenheit lebendig vermittelt werden kann. Die rein ehrenamtliche Arbeit des Vereins wurde an diesem Abend sichtbar gewürdigt und erhielt breite Unterstützung. „Weilburg erinnert“ setzt Maßstäbe für eine Erinnerungskultur, die nicht nur erinnert, sondern auch Verantwortung für die Zukunft übernimmt.