Es gibt nur noch sehr wenige Holocaust-Zeitzeugen die von ihren Erlebnissen berichten können. Eine dieser seltenen Gelegenheiten hatte man am 26.09.23 via Zoom. Ausgerichtet wurde das Online-Zeitzeugengespräch, an dem rund 150 Menschen teilnahmen, vom Verein „Weilburg erinnert“ gemeinsam mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung(HLZ) und dem Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISFBB) e.V.
Ernest Glaser, der mittlerweile 99-jährige Zeitzeuge kam durch einen Freund, der das Buch „Die letzten Zeuginnen und Zeugen“ gelesen hatte, mit der Verfasserin Birgit Mair in Kontakt. Sie fungierte an diesem Abend als Moderatorin und so konnte man den spannenden und berührenden Bericht Glasers, der aus den USA zugeschaltet war, sehr gut verfolgen. Auch Markus Huth sprach ein herzliches Grußwort an die zahlreich eingewählten Teilnehmenden, unter anderem viele Schülerinnen und Schüler. Sie alle verfolgten mit großem Interesse über eine Stunde den Ausführungen.
„Erinnerung ist das höchste Gut, das wir weiterzugeben haben“
(Zitat Charlotte Knobloch)
Und diese Erinnerung gab Ernest Glaser an diesem besonderen Abend gerne weiter. Geboren am 2. März 1924 in Berlin, als einziger Sohn des Geschäftsmanns Glaser erlebte Ernst schon früh, wie sich das nationalsozialistische Regime auch auf das Leben seiner jüdischen Familie auswirkte. Es folgten viele Einschränkungen und Verbote, aufgrund von Gesetzesänderungen, die das Leben auch für die Juden in Deutschland immer schwieriger machten.
Den Einschränkungen im Ausüben der Geschäftstätigkeiten und dem Reisen folgten Umzug und weitere Veränderungen. Im November 1938 in der sogenannten „Kristallnacht“ brannte dann auch die Synagoge in der Nähe, den Brand erlebte er als 14-jähriger Augenzeuge direkt mit, sowie die Verhaftung einiger Verwandten. Ein nichtjüdischer Geschäftsmann bot Hilfe an, so konnte das Geschäft des Vaters für eine Weile aufrecht gehalten werden. Dieser Partner, der in der Partei eingeschrieben war, riet der Familie einen Antrag auf Auswanderung zu stellen und unterstütze sie weiterhin.
„Er rettete unser Leben, konnte seines aber nicht retten, denn er kam in den letzten Kriegstagen bei einem Bombenangriff ums Leben. Wir flohen im Juni 1939 auf Anraten des Konsulats nach Shanghai, um auf die Ausreise in die USA zu warten und kamen dort in ein von den Japanern errichtetem Ghetto in der Hafengegend unter. Auf den Befehl des NS-Standartenführer Josef Meisinger, der in Tokyo stationiert war, lebten dort an strategisch wichtigen Orten ca. 20.000 Emigranten, die so als Geiseln missbraucht wurden. Shanghai war die einzige Stadt die noch Auswanderer aufnahm, und meine Eltern und ich kamen dort mit einem „Vermögen“ von 12 Dollar an. Wir lebten dort unter menschenunwürdigen, unsäglichen Bedingungen.“
Die Schilderungen des Lebens im Ghetto berührten die Anwesenden sehr, niemand konnte es sich vorstellen unter solch widrigen Umständen zu leben. Doch trotz alldem machte die Familie das Beste aus der Situation, schickte den Sohn Ernest in die Lehre und er fand Arbeit. Bis Kriegsende lebte die Familie in Shanghai, bis sie schließlich im Juli 1947 auswandern konnten. Glaser besuchte wieder die Schule und studierte, machte Karriere und gründete eine Familie, hat 2 Söhne und 3 Enkel und war, bis zum Tod seiner geliebten Frau vor einigen Jahren, 60 Jahre glücklich verheiratet. „Sie war das Beste, was mir passieren konnte im Leben!“
Er besuchte auch später wieder Deutschland und selbst Shanghai, viele private Fotos wurden gezeigt, die alle von ihm erklärt wurden. Voller Energie war er am Ende dieses Abends noch gern bereit zu einer „Fragerunde“. Der Bericht und der Austausch waren für alle sehr beeindruckend und lehrreich. Man hatte die Möglichkeit sich persönlich auch über Chat herzlich zu bedanken. Welch eine Gelegenheit solch einen positiven, wunderbaren Menschen und seine Geschichte etwas näher kennengelernt zu haben. Das Buch „A Life Well Lived“ mit seinen Erlebnissen wurde in den USA herausgegeben.
Text: Angelina Borrello