(WEILBURG) Ein Workshop, der Emotionen entfesselt und zum Nachdenken anregt: Schülerinnen und Schüler der elften Jahrgangsstufe des Weilburger Gymnasium Philippinum setzten sich auf Einladung des Vereins „Weilburg erinnert“ in einem erkenntnisreichen Workshop mit Diskriminierung und Vorurteilen auseinander. Ein Workshop, der die Teilnehmer dazu bringt, Diskriminierung zu erleben, indem sie selbst diskriminieren oder diskriminiert werden – klingt das nach einer effektiven Lernmethode? Was können aufgeklärte Menschen, die sich bereits intensiv mit dem Thema Diskriminierung beschäftigen, aus einer solchen inszenierten Situation lernen? Und ist ein derartiges Workshopkonzept überhaupt ethisch vertretbar?
Aber zunächst, was verbirgt sich hinter dem Blue-Eyed Workshop? Dieser Workshop basiert auf einem Experiment, das dazu dient, die Erfahrungen und Gefühle von Diskriminierung zu vermitteln. Die Teilnehmer werden in blauäugige und braunäugige Gruppen aufgeteilt und erfahren unterschiedliche Behandlungen. Ausgedacht hat sich dieses Konzept die amerikanischen Grundschullehrerin Jane Elliot, die im Jahr 1968 nach einer Methode suchte, um ihren Schülern die Gründe für die Ermordung von Martin Luther King zu erklären.
Das Experiment zielt darauf ab, die Reduzierung auf äußerliche Merkmale, Vorurteile, soziale Ausgrenzung und die Rolle der schweigenden Masse als Mitwirkende von Diskriminierung zu veranschaulichen. Doch warum benötigen wir überhaupt einen Workshop, um uns die Funktionsweise und die Auswirkungen von Diskriminierung bewusst zu machen?
Unter der Leitung des deutschlandweit bekannten Antirassismus-Experten Jürgen Schlicher von „Diversity Works“ wurden die braunäugigen Teilnehmer dazu angeregt, die vermeintliche „Minderwertigkeit“ der blauäugigen Gruppe zu akzeptieren. Durch Plakate im Raum und verbale Überzeugungsarbeit wurde dieses Bild verstärkt. Auf den Plakaten stand zum Beispiel „Blauäugige nehmen uns die Ausbildungsplätze weg.“ (Diese Aussage – setzt man einfach eine andere Gruppe von Menschen ein – erfreut sich leider in gewissen Teilen unserer Gesellschaft noch breiter naiver Zustimmung.). Die braunäugigen Teilnehmer wurden angehalten, die blauäugigen entweder aktiv zu diskriminieren oder zu ignorieren und sie anzuschweigen. Der Seminarraum im Hotel Lahnschleife wurde so innerhalb kürzester Zeit in einen Mikrokosmos der strukturellen Alltagsdiskriminierung verwandelt.
Die Reaktionen der Teilnehmer sprechen Bände: „Die handeln ja tatsächlich, wie uns das vorhin eingetrichtert wurde“, reflektierte einer der Teilnehmer später. Diese Aussage verdeutlicht die Macht von Vorurteilen und wie stark das Verhalten der Teilnehmer durch die Erwartungen und Vorurteile beeinflusst wurde. Ist es nicht entsetzlich, dass ihr die Blauäugigen genauso gesehen habt, wie ich sie euch vorhin beschrieben habe?“, fragt Schlicher. „Niemandem ist aufgefallen, dass die Gruppe immer wieder sehr solidarisch gehandelt hat. Dass keiner den Workshop abgebrochen hat, alle haben durchgehalten. Ob Rebellion oder Anpassung und Zurückhaltung – das kostet wahnsinnig viel Kraft, wenn man eigentlich damit beschäftigt ist, irgendwie sein Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten“, so Schlicher.
Doch erst im anschließenden Reflexionsteil wurde den Teilnehmern die eigentliche Botschaft des Workshops klar: Durch die Diskriminierung fühlen sich die Opfer so, wie sie von der diskriminierenden Seite dargestellt werden, was zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung führen kann.
Schlicher betonte die Wichtigkeit, aktiv gegen Diskriminierung vorzugehen: „Es sollte immer und überall aktiv gegen Diskriminierung und Rassismus vorgegangen werden.“ Diese Worte treffen den Kern des Workshops, der nicht nur Wissen vermittelt, sondern die Teilnehmer dazu anregt, ihre eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen zu überdenken.
Markus Huth, Vorsitzender des Vereins „Weilburg erinnert“, zeigte sich beeindruckt von der Resonanz des Workshops: „Die Schülerinnen und Schüler fanden das Experiment sehr interessant und informativ. Dabei haben sie Erfahrungen gesammelt, die die meisten sonst nicht gemacht hätten. Mit unseren Bildungsangeboten möchten wir als Verein insbesondere junge Menschen dazu anregen Dinge zu hinterfragen und sich gegen Unrecht und Ausgrenzung zu stellen, weswegen wir sehr dankbar über das große Interesse der Schulen an unseren Workshopangeboten sind“.
Fotos: Peryton Film Gießen
Insgesamt war der Workshop eine eindrucksvolle Erfahrung, die den Teilnehmern neue Perspektiven eröffnete und sie dazu ermutigte, aktiv gegen Diskriminierung im Alltag einzutreten. Das Weilburger Gymnasium Philippinum setzt somit ein starkes Zeichen für Mitgefühl und Verständnis in einer Welt, die oft von Vorurteilen geprägt ist.